Baran, offiziell Zeki Ürün, ist ein kur­dis­ch­er junger Mann von 26 Jahren und kommt aus Ulud­ere. Seit 17 Monat­en hat ihm der Kan­ton St. Gallen, in dem er poli­tis­chen Asyl beantragt hat, ver­boten den Kan­ton St. Gallen zu ver­lassen. Er sei “gefährlich für die Zivilge­sellschaft”. Falls er sich ausser­halb des Kan­tons aufhal­ten und in ein­er Polizeikon­trolle ger­at­en sollte, wird in der Schweiz eine Haft­strafe verhängt.

Wir haben uns mit ihm in dem Kan­ton getrof­fen, in dem er lebt und sprachen über sein Erlebtes. Ich teile diesen Beitrag mit Ihnen basierend auf diesem Gespräch.

Ich wollte durch dieses Schreiben und durch den 1. Novem­ber, den Welt-Kobane-Tag, an all die Men­schen erin­nern, die im Wider­stand in Kobane ihr Leben nicht nur für die Befreiung der Stadt ver­loren haben, son­dern auch dafür, dass sie bar­barische Ban­den an der Ver­nich­tung der Men­schheit gehin­dert haben.


Auch Ihr tötet Menschen!

Ich bin von der Türkei aus nach Kuba, von dort in die Dominikanis­che Repub­lik, gereist und zulet­zt am 23. Mai 2017 im Zürcher Flughafen angekom­men und habe dort Asyl beantragt. Ich blieb 20 Tage am Flughafen Zürich. Meine erste Aus­sage, die zum Anreiseweg, habe ich am Flughafen gemacht. Der Staat­san­walt, der mich ver­hörte sagte: „Auch ihr tötet Men­schen und meinte damit die Kräfte der YPG. Wir haben von Zivilis­ten erfahren, dass auch ihr Druck macht“. Als er sagte: „ihr tötet Men­schen“ hat er seine Mei­n­ung zum IS geäussert und behauptet, dass ich Men­schen töte. Er hat­te Vorurteilte. Die Ter­ro­ror­gan­i­sa­tion IS ist eine Bedro­hung für die gesamte Welt­ge­mein­schaft und die einzige Kraft, die gegen diese bar­barische Organ­i­sa­tion kämpft, ist die kur­dis­che Armee. Dieses Ver­hal­ten hat mich in Europa über­rascht, in dem Europa, in dem so viele Zivilis­ten vom IS ermordet wurden.

Die Kantonspolizei hat mich noch einmal Verhört

Nach­dem ich den Flughafen ver­lassen habe, wurde ich in den Kan­ton St. Gallen, nahe der öster­re­ichis­chen Gren­ze, in ein Asyl­be­wer­berzen­trum gebracht. Die Kan­ton­spolizei hat mich aus dem Asyl­be­wer­berzen­trum geholt und brachte mich ins Polizeiprä­sid­i­um. Man stellte mir ähn­liche Fra­gen wie am Flughafen. Dies ist im Asylver­fahren nicht gängig. Nach dieser Aus­sage wurde mir gesagt, dass ich nicht aus dem Asyl­be­wer­berzen­trum gehen sollte und dass, wenn ich raus gehen würde, eine ern­sthafte Strafe ver­hängt wird. Ich kon­nte nicht ein­mal Zigaret­ten kaufen gehen. Wenn ich Zigaret­ten kaufen wollte, sagte ich das den Mitar­bei­t­en­den des Zen­trums. Sie kauften mir Zigaret­ten. In gewiss­er Weise war es so, als würde man im Gefäng­nis einem Wärter sagen, er solle von der Kan­tine einkaufen gehen. Ich fragte nach, warum man so einen Beschluss gefasst habe. Man sagte mir: „Sie sind ohne Visum in das Land gekom­men“. Ich sagte ihnen, dass alle Flüchtlinge, die in dieses Land kamen, ohne Visa ein­reisen wür­den und dass Men­schen, die ein Visum erhal­ten, keine ern­sten Prob­lem hät­ten. Das Ver­bot im Asyl­be­wer­berzen­trum dauerte 3 Wochen. Später, als ich die Kan­ton­spolizei noch ein­mal fragte, warum diese Prax­is angewen­det wird, lautete die Antwort: „weil ich zu den YPG-Kräften gehörte”. Es gibt keine klare Erk­lärung zu diesem The­ma, außer die „Gefahr für die zivile Bevölkerung“.

SchweizYPG-Kräfte sind “gefährlich für die Zivilgesellschaft!”

Nach dem Ver­bot das Asyl­be­wer­berzen­trum zu ver­lassen, erhielt ich ein Ver­bot, den Kan­ton zu ver­lassen. Mit der Begrün­dung, dass ich zu den YPG-Kräften gehörte, hat man mich als „gewalt­bere­it“ eingestuft und dies­mal ein Aus­rei­se­ver­bot ausser­halb des Kan­tons ver­hängt. Ich unter­schreibe alle drei Monate ein Schrift­stück, dass ich mit diesem Entscheid ein­ver­standen bin. Auch wenn ich dachte, dass dies nach ein­er Zeit enden würde, sind es nun 17 Monate her. Dieser Beschluss hat sich nicht geän­dert und ich füh­le mich, wie in einem Gefäng­nis. Nach einem 10-monati­gen Aufen­thalt im Asyl­be­wer­berzen­trum lebe ich nun mit Fre­un­den, die ich im Zen­trum ken­nen­gel­ernt habe, in einem Dorf 45 Minuten vom Stadtzen­trum St. Gallen entfernt.
[Entschei­dungs­doku­mente]

Kantonsverbot oder Haft!

Das Jus­tizmin­is­teri­um in St. Gallen hat beschlossen, dass wenn ich mich nicht an diesen Beschluss halte, ich nach Para­graph 119/1 des Aus­län­derge­set­zes, bis zu 3 Jahren Haft oder eine Geld­strafe ver­hängt bekomme. Wenn ich also aus dem Kan­ton gehe und erwis­cht werde, erhalte ich ern­sthafte Sank­tio­nen. Haft oder Geld­strafen wer­den ver­hängt. Gle­ichzeit­ig wird der Erhalt ein­er Nieder­las­sungs­be­wil­li­gung erschw­ert. Deshalb beuge ich mich diesem Ver­bot. Auch wenn ich die Entschei­dung nicht unter­schreibe, weil ich ein Recht dazu habe, wird wieder das gle­iche Bestra­fungssys­tem angewendet.

Zugang zu Gerechtigkeit geht Geld!

Wenn ich einen Antrag beim kan­tonalen Jus­tizmin­is­teri­um zur Prü­fung dieses Beschlusses stellen möchte, muss ich 500 Franken bezahlen. Es ist sehr schw­er für mich, dieses Geld zu zahlen. Ich erhalte in einem Monat nicht mal so viel Geld. Wenn ich zwei Monate lang meine indi­vidu­ellen Bedürfnisse nicht erfüllen würde, nur dann kön­nte ich das bezahlen. Dies scheint unmöglich. Die Insti­tu­tion Heks gibt rechtliche Unter­stützung. Als ich in meinem Antrag zu diesem The­ma schrieb, dass „ich mich durch diesen Beschluss wie in einem Gefäng­nis füh­le“ hat der Anwalt dieser Organ­i­sa­tion erk­lärt, dass er mir nicht helfen könne, weil dies eine sehr harte Aus­druck­sweise sei. Hätte ich Geld, würde ich mit einem anderen Anwalt diesen Antrag stellen. Aber ich kon­nte aus materiellen Grün­den, diesen Antrag nicht stellen. Wenn du Geld hast, dann kannst Ein­spruch ein­le­gen. Der Zugang zur Gerechtigkeit geht mit Geld. Jet­zt denke ich daran einen Anwalt in Rat­en zu bezahlen und Ein­spruch einzulegen.

Offen gesagt habe ich auch keine Hoff­nung, dass ich einen pos­i­tiv­en Entscheid in Bezug auf diesen Beschluss erhal­ten werde. Wenn ich eine Nieder­las­sungs­be­wil­li­gung erhalte, wird dieser Beschluss automa­tisch weg­fall­en. Aber es ist jet­zt fast ein Jahr her, seit ich meine 2. Aus­sage gemacht habe und es kam noch immer keine Antwort. Hinzukommt, wenn ein Kan­ton die Entschei­dung trifft, dass ich „gefährlich“ sei und deswe­gen nicht aus dem Kan­ton könne, wie soll dann die Organ­i­sa­tion, die mir eine Nieder­las­sungs­be­wil­li­gung geben soll pos­i­tiv denken? Ich habe von nie­mand anderem gehört, der in Rojava/Nordsyrien war, dass sie so behan­delt wer­den. Sog­ar Mit­glieder der PKK, die hier eine Nieder­las­sungs­be­wil­li­gung erhal­ten haben, hat man nicht so behan­delt. Ich glaube, es war der Ein­fluss des Staat­san­walts, der mich am Flughafen ver­hört hat. Es hat sich­er auch mit der Struk­tur dieses Kan­tons zu tun.

Wie kann humanitäre Hilfe für ein Volk, dass gemordet wird, gefährlich sein?

Ich bin während der Phase der nationalen Mobil­isierung, um den Men­schen, die gemordet wur­den, human­itär zu helfen, nach Kobane gegan­gen. Nach­dem Kobane befre­it wurde, bin ich wieder in die Türkei zurück gekom­men. Ich ver­ste­he die Logik nicht, dass ich gefährlich sein soll, weil ich einem Volk geholfen habe, dass in Gefahr war. Hinzu kommt, dass wenn ich gefährlich wäre, ich den Men­schen etwas antun kön­nte, die in diesem Kan­ton leben.

Die Gefahr schwindet nicht mit dem Entscheid, in einem Kan­ton einges­per­rt zu sein. Also kön­nte ich wohl in anderen Kan­to­nen gefährlich sein, aber nicht in diesem? Wie kann ich nor­mal für die Men­schen in dieser Stadt sein und eine Gefahr für Men­schen in anderen Städten? Diese Entschei­dung dient voll und ganz der Ein­schüchterung. Ich sehe keine Logik, die ein­er Sicher­heitsstrate­gie entspricht.

Die Flüchtlingspoli­tik der Schweiz ist eine Ein­schüchterungspoli­tik und soll dazu dienen, dass die Men­schen in ihre Heimat zurück­kehren sollen. Als ich am Flughafen ankam, hat mir die Rück­führung­sein­heit fol­gen­des Ange­bot gemacht: Wir geben Ihnen 1000 Franken, kaufen ihr Tick­et, wür­den sie dann in ihre Heimat zurück kehren?“ Irgend­wie beste­ht eine Logik, dass man wegen Geld in dieses Land gekom­men ist. Ich habe ihnen erk­lärt, dass ich 10.000 Franken dafür aus­gegeben habe, um in dieses Land zu kom­men, außer­dem wenn mein Anliegen Geld gewe­sen wäre, hätte ich dieses Geld in der Türkei aus­gegeben und wäre nicht hier­her gekommen.

Die YPG hat die türkische Repub­lik niemals ange­grif­f­en, der türkische Staat aber greift die Gebi­ete der YPG in Roja­va an. Einem ehe­ma­li­gen Kämpfer der YPG oder einem Men­schen, der dort dem kur­dis­chen Volk human­itäre Hil­fe geleis­tet hat, tun die alles an. Wenn ich in der Türkei wäre, wäre ich entwed­er im Gefäng­nis oder aber würde ermordet. Wieso sollte ich hier her kom­men, wenn ich nicht in Schwierigkeit­en wäre? In der Türkei wäre ich in Haft, hier lebe ich in Haftbe­din­gun­gen unter freiem Him­mel. Sog­ar die Schweiz bestraft mich dafür, dass ich bei den Ein­heit­en der YPG gewe­sen bin. Was würde die Türkei machen? Malt es euch selb­st aus. Ich werde für etwas bestraft, dass ich nicht getan habe, für eine Tat die nicht mal vorhan­den ist. Was ist der Unter­schied zwis­chen der Schweiz und der Türkei?

Der Entscheid schädigt meine psychische Gesundheit

In der ersten Zeit habe ich den Beschluss nicht so ernst genom­men. Ich habe im Asyl­be­wer­berzen­trum deutsch gel­ernt. Mit meinem eige­nen Bestreben bin ich nun auf Kon­ver­sa­tion­sebene. Diese Entschei­dung bee­in­flusst jeden Aspekt meines Lebens. Nach der let­zten Aktu­al­isierung ist dieser Entscheid bis zum 12. Jan­u­ar 2019 gültig. Nach diesem Datum wird die Entschei­dung wahrschein­lich erneut getrof­fen, da sie alle drei Monate von Neuem erfol­gt. Es gibt nichts, das ein Ende dieser Entschei­dung aufzeigen kön­nte. Mit anderen Worten, ich weiß nicht wie diese Entschei­dung dazu führen wird, dass sie entschei­den wer­den, dass „diese Per­son nach ein­er bes­timmten Zeit sich­er ist“.

Weil ich in Krieg­sumge­bung war, war meine Psy­che nicht gut. Ich füh­le mich geistig sehr müde. Diese Entschei­dung der Schweiz bee­in­flusst mich sehr. Sie bee­in­flusst mein Leben. Sie bee­in­flusst den Erhalt ein­er Nieder­las­sungs­be­wil­li­gung. Wenn der Kan­ton mich als gefährlich ein­stuft, wird diese Behörde nicht pos­i­tiv über mich denken. Ich denke, dass wenn ich mich an diesen Entscheid halte, ich eine Nieder­las­sungs­be­wil­li­gung erhal­ten werde und so mich außer­halb des Kan­tons bewe­gen kann. Aus diesem Grund bin ich in keinen anderen Kan­ton gegan­gen. Ich habe Fre­unde, die in anderen Kan­to­nen leben, ich kann mich mit ihnen nicht tre­f­fen. Ich habe so oder so unter der Schwierigkeit­en eines frem­den Lan­des, der frem­den Gesellschaft und Kul­tur zu lei­den. Sie wollen mich mit dieser Entschei­dung voll und ganz isolieren. Diese Entschei­dung und die Unsicher­heit bee­in­flussen meine geistige Gesund­heit. Ich habe eine lange Zeit selb­st damit begonnen Deutsch zu ler­nen, aber nun kann ich mich auch darauf nicht mehr konzen­tri­eren. Es gibt in dem Dorf, in dem ich lebe fast keine Deutschkurse. Ich füh­le mich isoliert, in einem offe­nen Gefängnis.

Zulet­zt kann ich fol­gen­des sagen: Wir Kur­den sind ein Volk, das die Frei­heit sehr schätzt. Ich füh­le mich hier abso­lut nicht frei. Ich glaube nicht daran, dass es dort wo es Gren­zen gibt, wed­er Frei­heit, noch ein wirk­lich­es Leben gibt. Das einzige was ich will, ist frei zu leben, wie jed­er andere…


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İsviçre’de kan­ton hap­si…
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Übersetzung: Özen Aytaç
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